An erster Stelle sei unmissverständlich festgehalten: Die Zielsetzung des Kantons Basel-Stadt – ein verstärktes Engagement gegen jede Diskriminierung von Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Selbstwahrnehmung – ist zu begrüssen und zu unterstützen.
Klarstellungen
Gegen diesen Gesetzesentwurf zu sein, bedeutet nicht, gegen die LGBTIQA+-Community zu sein.
Es bedeutet, gegen die Gewichtung und gegen die Vermischung in dieser Vorlage zu sein. Erstens: weil die Anliegen der Queer-Community zentral stehen, die Anliegen von Frauen aber auf der Strecke bleiben. Zweitens: weil Diskriminierungsschutz und Gleichstellungsauftrag nicht unterschieden werden.
«Justitia ruft» wehrt sich gegen eine Vorlage, die vermeidet, Frauen und Männer – das Zielpublikum unter dem Titel Gleichstellungsgesetz – begrifflich als Frauen und Männer zu bezeichnen. Dies, obwohl sich 99,6% der Menschen (siehe S. 13, 2.2) als Frauen oder Männer verstehen und der ursprüngliche gesetzliche Auftrag – die Gleichstellung Frau/Mann voranzubringen – noch längst nicht erfüllt ist.
Wir befürworten verstärkte Antidiskriminierungsmassnahmen – auch für andere Gruppen, etwa bezogen auf Herkunft, Hautfarbe, Religion etc. –, doch wir weisen die offenkundige Verdrängung der Gleichstellung Frau/Mann, wie sie in der Vorlage zum Ausdruck kommt, entschieden zurück. Kurz: Wir lehnen es ab, dass dem Gleichstellungsgesetz ein Queer-Gesetz übergestülpt wird.
Eine zentrale Unterscheidung
Gegen die Grundzüge des Gesetzesentwurfs zu sein bedeutet, auch gegen die Vermischung unterschiedlicher Ansprüche an den Staat zu sein.
Leider muss es gesagt werden: Es ist irritierend, dass die Gesetzesschaffenden nichts von der Unterscheidung zwischen Diskriminierungschutz und Gleichstellungsauftrag wissen wollten und wollen.
Diskriminierungsschutz heisst, dass der Staat gegenüber allen durch verschiedenste Gegebenheiten gefährdeten Individuen in der Pflicht steht, sie vor Entwertung und Benachteiligung zu schützen: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich», heisst es in der Verfassung.
Gleichstellung dagegen umschreibt einen gesellschaftspolitischen Veränderungsauftrag. Im Fokus stehen politische, sozio-kulturelle und ökonomische Strukturen, welche zur Benachteiligung eines Geschlechterkollektivs, meist der Frauen, führen und mittels Massnahmen Richtung Egalisierung und Chancengleichheit zu verändern sind.
Klar, es lässt sich prima fordern «Wir wollen Gleichstellung für alle Individuen». Und es scharen sich bestimmt viele aufgeschlossene Bürgerinnen und Parlamentarier hinter diese wohlwollende Absicht; solidarisch, weltoffen, aufgeklärt. Nur ist mit dem Begriff Gleichstellung eben gerade nicht ein empathisch-solidarischer Akt von Verständnis und Anteilnahme an individuellen Geschicken gemeint, sondern – würden den Fakten tatsächlich auch Taten folgen – ein weltumspannendes, überindividuelles, politisches Grossprojekt.
Wer an der anhaltenden Gültigkeit der unterschiedlichen Stellung von Frauen und Männern in der Jetztzeit zweifelt, sei auf die Recherche von Caroline Criado-Perez Unsichtbare Frauen verwiesen. Die junge Journalistin und Autorin macht nichts weiter als weltweit Fakten zu sammeln und Konsequenzen, wissenschaftlich untermauert, aufzuzeigen.
Die Verquickung der staatlichen Aufgaben Diskriminierungsschutz und Gleichstellung führt – unter anderem – zur Entpolitisierung des Geschlechterverhältnisses. Wer will das? Und weshalb? Das sind keine rhetorischen Fragen!
Gleichstellung und Diskriminierungsschutz sind zweierlei. Die Verquickung in einer Gesetzesvorlage unter dem Titel «Gleichstellungsgesetz» bei gleichzeitiger Verdrängung der Gleichstellung Frau/Mann sollte alle zum Nachdenken bringen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen und wissen: Der Weg ist noch weit – überall.
Verschiedene Ziele
Ausgerechnet die kritisierte Vermischung macht deutlich, wie sehr sich die Ziele der beiden Bewegungen unterscheiden: Viele Queers – bekräftigt von akademisch geschulten Genderaktivist:innen wie z.B. den Gesetzesmacher:innen – stören sich an der Binarität, der als dominant erlebten, allgegenwärtigen. Und an der Heteronormativität, der ebenso dominanten und allgegenwärtigen. Manche würden beides am liebsten wegzaubern. So geschehen mit der begrifflichen Binarität im ersten Gesetzesentwurf. Das brachte auch uns auf den Plan.
Viele Feministinnen, die sich nach wie vor in Verbindung mit Gesellschaftsanalysen und -kritik verstehen, wollen im Zusammenhang mit dem geplanten Gesetz allem voran eines: den über viele Jahre zäh errungenen Gleichstellungsauftrag an Politik und Behörden nicht leichthin preisgeben. Feministinnen würden lieber das allgegenwärtige Patriarchat wegzaubern als die Binarität.
In der Vorlage geht es hingegen um Biologie (Geschlechtsmerkmale), geschlechtliche Selbstwahrnehmung (Geschlechtsidentität) und persönliche Darstellungsformen von Geschlecht (Geschlechtsausdruck), wie in § 2 nachzulesen ist.
Seltsame Vorgänge
Mit Erstaunen realisierte «Justitia ruft», wie wenig Widerstand der erste Entwurf bei den politischen Parteien auslöste, bestand darin doch immerhin die Absicht, die Mehrheitsgesellschaft – die 99,6 % Frauen und Männer, laut Sotomo-Studie – zum Verschwinden zu bringen; begrifflich.
Der Geschlechter-Binarität wurde kurzerhand der Garaus gemacht, Frauen und Männer kamen – gemäss dem Kern der Revision – nicht mehr vor. Das Recht basiert jedoch auf der Konkretisierung Frau/Mann. Sie aufzuheben bedeutet nicht nur, aus dem Rechtssystem auszuscheren, sondern in manchem Fall auch, dass dieser gar nicht justiziabel ist, d.h. nicht geeignet, um von einem Gericht entschieden zu werden.
Im überarbeiteten Entwurf wird nun eine «Auswahlsendung» präsentiert. In § 1 wurde die Aufhebung der Binarität zurückgenommen, in § 2 wird der Binarität in ausschweifender Manier wieder abgeschworen, der Gleichstellungsauftrag in § 3 kommt ebenfalls fluid daher, ab § 7 bis § 22 wird ausschliesslich von Frauen und Männern gesprochen. Was heisst das? Es heisst, in das Gesetz haben Prinzipien Eingang gefunden, die sich gegenseitig widersprechen. Vielleicht, weil der ursprüngliche Plan mit der Aufhebung der Binarität nicht nur rechtsfremd, sondern auch weltfremd ist?
Das grosse Schweigen
Manche der älteren Politiker:innen fanden – vielleicht –, der Gesetzesentwurf sei nicht mehr aus der Welt, in der sie sich kompetent fühlten, sollten sich doch besser die jüngeren Generationen damit befassen. Jüngere Politikerinnen und mit ihnen viele ausserparlamentarische Aktivistinnen fanden – vielleicht –, es gebe wirklich stärker Diskriminierte als sie selber, nun seien diese am Zug. Das wäre in gewisser Weise nachvollziehbar. Und so kam es, dass sich niemand aus der Politik öffentlich für den Erhalt des ursprünglichen Auftrags stark machte. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, was diese heftigen Animositäten auslöst, wenn an dem Gesetz Kritik geübt wird. Sofort wird die Ablehnung des Gesetzes als Ablehnung der Community betrachtet – und schon ist sie da, die Verunglimpfung: transphob. Die Furcht vor solchen Zuschreibungen könnte das grosse Schweigen ebenfalls erklären. Divergente Positionen sollten in Demokratien dargelegt und diskutiert werden können, ohne dass befürchtet werden muss, sogleich abqualifiziert und/oder diffamiert zu werden. Dass diese Furcht besteht, haben wir in dem Jahr unserer Auseinandersetzung mit dieser Vorlage immer wieder erfahren müssen. Wir finden: Das ist erst recht zum Fürchten.