Bis jetzt gilt im Kanton Basel-Stadt das Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann für die Gleichstellungsarbeit in Öffentlichkeit und Verwaltung.
Um den Bedürfnissen der LGBTQIA+-Community Rechnung zu tragen, plante das Präsidialdepartement ein Kantonales Gleichstellungsgesetz unter diesem Fokus. Im Herbst 2021 schickte es den Entwurf in die Vernehmlassung.
Die politischen Parteien stimmten dem Entwurf mehrheitlich zu, Frauenorganisationen und etliche Gleichstellungs-Expertinnen äusserten sich skeptisch. Sie befürchteten, die strukturelle Ungleichheit zwischen Frauen und Männern gerate aus dem Blickfeld. Einige, darunter die Initiantinnen von «Justitia ruft», waren – und sind – der Auffassung, es sei sowohl den Frauen als auch der Queer-Community mit zwei verschiedenen Erlassen besser gedient.
Der überarbeitete Entwurf
Die Regierung trat bei der Überarbeitung des Entwurfs nicht auf diese Empfehlung ein. Daher stellen wir sie hier nochmals vor:
- Beibehaltung des bisherigen Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann und Schaffung eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes anstelle des KGlG.
Für die Beratung im Grossen Rat wie auch für die Diskussion in der Öffentlichkeit sind die folgenden Punkte bedeutsam, wenn am Entwurf festgehalten wird.
Unsere wichtigsten Kritikpunkte:
Gleichstellung und Diskriminierungsschutz sind nicht das Gleiche. Sie müssen definitionsgemäss konsequent auseinandergehalten werden.
➔ 1Der Gleichstellungsauftrag Frau/Mann der Bundes- und Kantonsverfassung ist als Gesetzeszweck ausdrücklich beizubehalten.
➔ 2Die Definitionen in § 2 sind nicht justiziabel, d.h. nicht geeignet, um von einem Gericht entschieden zu werden. Doch gerade die umfassenden Neudefinitionen des Begriffs «Geschlecht» unter § 2 bilden den Kern der Revision. Was tun?
➔ 3–5Es braucht Kollisionsnormen, da divergente Interessen bestehen und folglich Massnahmen zu Gunsten einer Gruppe von Diskriminierten Ansprüchen und Rechten von anderen entgegenstehen können.
➔ 6–8
Die Umsetzung unserer Kritikpunkte haben wir der Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission (JSSK) zur Verfügung gestellt.
Zu den einzelnen Kritikpunkten
1. Vermischung zweier Aufgaben
Im neuen Gleichstellungsgesetz geht es vorrangig um den Schutz von LGBTIQA+-Personen und Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Diese Sicht dominiert. Beispiel: Obwohl Kinder für Frauen das Hauptrisiko für ihre Ungleichstellung im Erwerbsleben sind, bleibt diese typische Frauenrealität ausgespart.
Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen Diskriminierungsschutz und Gleichstellungsauftrag – mit Folgen, wie sich allein schon durch die Klärung der Begriffe zeigt:
Gleichstellung erfordert die Korrektur von sachlich nicht begründbaren Ungleichheiten, die in der Realität festgeschrieben bzw. feststellbar sind.
Schutz vor Diskriminierung thematisiert, dass der Staat jedes Individuum vor Entwertung und Benachteiligung zu schützen hat: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.»
Gleichstellungsmassnahmen haben zum Ziel, die systembedingte, gesellschaftlich tief verankerte und häufig kaum bewusste Nachrangigkeit der hälftigen Bevölkerung zu überwinden.
2. Gleichstellung Frau/Mann? – beliebig manövrierbar?
Im ersten Zweckartikel fehlte sie. Im revidierten Entwurf wurde sie eingefügt, allerdings nur im Zuge einer längeren Aufzählung, wie § 1 zeigt. Der ursprüngliche Auftrag – die Verwirklichung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung Frau/Mann – ist im neuen Zweckartikel (§ 1) nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Sie ist allenfalls «mitgemeint». Die Vorlage will, dass alle von diesem Gesetz Geschützten «gleichgestellt» werden. Gemeint ist wohl, dass niemand diskriminiert werden darf. Das steht schon wortwörtlich in der Kantonalen Verfassung. Hier werden Aufgaben vermischt.
3. Problematische Definitionen
§ 2 definiert «Geschlecht» – unter Weglassung der Begriffe Frau und Mann – als ein menschliches Phänomen, das durch drei Kategorien von physischen und psychischen Merkmalen umschrieben wird: die Kategorie «Geschlechtsmerkmale», die Kategorie «Geschlechtsidentität» und die Kategorie «Geschlechtsausdruck».
Mit diesen Neudefinitionen des Begriffs «Geschlecht» bildet § 2 KGIG den Kern der Revision. Damit soll eine umstrittene Gendertheorie auf gesetzlicher Ebene verankert und demokratisch legitimiert werden. Es geht um die Abschaffung der binären Geschlechterordnung. Frauen und Männer werden rechtlich und politisch zum Verschwinden gebracht. Sie werden ersetzt durch «Menschen mit bestimmten Merkmalen» (Beispiel: «homosexueller menstruierender Mensch»). Dass die Definitionen nicht brauchbar sind, beweist das Gesetz selbst: Ab § 7 (von 22) ist wieder von Frauen und Männern die Rede.
Auch zeichnet sich ein Zwiespalt ab: Wer sich beispielsweise als Mann Richtung weiblicher Geschlechtsidentität bewegt, hat womöglich das Bedürfnis, die angestrebte Weiblichkeit zu betonen. Das ist verständlich – und problematisch zugleich. Wenn im Gesetz vom «Geschlechtsausdruck» gesprochen wird, liegt nahe, dass stereotype Geschlechterbilder neu aufleben. Der Blick in die Aufzählungen unter § 2 bestätigt’s. Wollen wir wirklich Stylings wie falsche Wimpern, Highheels oder andere klischierte Accessoires gesetzlich schützen?
4. Eine vielsagende Lücke
Es ist kein Zufall, dass in der beliebig erweiterbaren Liste von geschlechtsrelevanten Merkmalen in § 2 Schwangerschaft und Geburt nicht vorkommen. Das Fehlen der Begriffe Schwangerschaft und Geburt in einem Gleichstellungsgesetz ist gleichwohl erstaunlich: Sie sind der häufigste Anlass für Klagen im Erwerbsarbeitsbereich.
Biologische Frauen kommen in der propagierten Gendertheorie nicht vor, in der Realität jedoch schon. Sinnigerweise sind Schwangerschaft und Geburt aber nicht nur für biologische Frauen relevant, sondern u. U. auch für Transmänner, Non-Binäre, Intersexuelle, Asexuelle etc.
5. Rechtsfolgen
Mit dem Verschwinden der Bezeichnungen Frau/Mann im von der Binarität «befreiten» Allgemeinen Gleichstellungsauftrag verschwindet logischerweise auch der bisherige verfassungsmässige Auftrag an Politik und Behörden, Frauen und Männer gleichzustellen. – Wer kann das wollen, angesichts der nach wie vor bestehenden Ungleichstellung? Klar ist: Ohne dieses Gesetz ist die Rechtssituation für Frauen besser als mit.
Es braucht keine Neudefinition von «Geschlecht», die Rechtsordnungen weltweit organisieren ihre Gesellschaften nach dem Kriterium Geschlecht w/m.
Die Schweiz ermöglicht seit Anfang 2022 die Änderung im Personenstandsregister, wonach das Geschlecht per einfache Erklärung gewechselt werden kann. Die Geschlechtsidentität spielt dabei keine Rolle. Alles Unklare somit klar. Einmal abgesehen von einigen nicht vorhergesehenen Konsequenzen.
Umgekehrt die Begriffe Gleichstellung, Diskriminierungsschutz, Diskriminierung wegen Schwangerschaft, Geburt, Elternschaft: Die scheinen nicht allen geläufig zu sein, die sich mit der Materie befassen.
Diverse Kantone arbeiten an Verbesserungen für LGBTIQA+-Personen oder haben bereits entsprechende Verordnungen erlassen, was zu begrüssen ist. Doch nirgends wurde ein geltendes Gesetz zur Gleichstellung Frau/Mann ersetzt durch ein Queer-Gesetz.
6. Kollisionsnormen? Es gibt in diesem Entwurf keine
Die Gesetzesmacher:innen bekunden im Ratschlag eine Win-Win-Situation. Sie glauben, das Gesetz sei auch für Frauen ein Gewinn. Diese Einschätzung ist angesichts der weltweiten erbitterten Auseinandersetzungen rund um entsprechende Neuerungen schlicht naiv.
Für Konfliktsituationen bietet das Gesetz nichts an. Doch es braucht Kollisionsnormen, die Situationen regeln, in denen Massnahmen zu Gunsten einer Gruppe von Diskriminierten die Rechte anderer verletzen.
7. Zugang zu Schutzräumen
Zu regeln ist insbesondere der Zugang zu Schutzräumen. Der Anspruch von non-binären Männern aller gefühlten Identitäten auf Zugang zu Frauen vorbehaltenen Räumen bleibt im vorgelegten Gesetz ungeregelt. Räume, die Frauen aus guten Gründen – und gegen teilweise massiven Widerstand – eingefordert hatten und deren Notwendigkeit heute unbestritten ist, da sie eine Schutzfunktion im engeren oder weiteren Sinn haben (Frauenhäuser und -beratung, Frauenbadis, Spitalzimmer, Haftzellen, Frauensaunen, Garderoben, Toiletten). Ihre Aufhebung führt zurück zu alten Problemen. Solche Interessenskollisionen wurden vorausgesagt. Umso bemerkenswerter, dass sie von den Gesetzesschaffenden einfach ignoriert wurden. Wer entscheidet dann, welche der divergierenden Interessen Vorrang haben?
8. Wenn Rechte der einen die Rechte von anderen verletzen
Konflikte sind auch dort vorprogrammiert, wo Strukturen zu Gunsten von Frauen oder Männern eingeführt sind. Soll eine Transfrau z.B. einen für Frauen vorgesehenen Platz auf einer Wahlliste einnehmen können? Oder soll eine Transfrau an Frauenwettkämpfen teilnehmen können? Für die Community fraglos: Ja. Für die Kolleginnen im gleichen Wettkampf sieht die Antwort wahrscheinlich nicht so eindeutig aus. Letztes Beispiel: Soll ein als Junge geborener Mann, der sich in seiner Identität weiblich fühlt, in der Badi die Frauengarderobe benutzen können? Ja? Ob die Mädchen in der Garderobe oder ihre Eltern das auch so sehen? Es darf bezweifelt werden. Für die Lösung solcher Konfliktsituationen braucht es Kollisionsnormen.
9. Exklusive Inklusion?
Die Vorlage will den «inklusiven Geschlechtsbegriff» gesetzlich absegnen lassen, vgl. Ratschlag S. 14. Der Gleichstellungsauftrag des Kantons, der aktuell auf Frauen und Männer «beschränkt» sei, soll auf LGBTIQA+-Personen erweitert werden. Wer inkludiert wird, steht in § 1 und § 2, alle diese Personen werden vom neuen Gesetz geschützt. Mit der genauen Umschreibung der geschützten Personen werden andere Gruppen ausgeschlossen: Menschen die aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religion etc. benachteiligt werden. Diese «Mehrfach-Diskriminierten» werden unter § 3, Abs. 3 «berücksichtigt». Das heisst, dass dieses Gesetz beispielsweise bei Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit nicht greift, es sei denn, Betroffene sind LGBTIQA+-Personen (Beispiel: Nur ein schwuler, trans, bi etc. Muslim oder Jude kann sich auf dieses Gesetz berufen).
Wir befürworten ein eigenes, umfassendes Antidiskriminierungsgesetz für alle Diskriminierten. Diskriminierungen sollen nicht gewertet werden. Es darf keine Diskriminierten erster und zweiter Klasse geben.
Zum Schluss ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte: Der Hype um die Ehe für alle war gross. Dass eine allfällige Skepsis nicht den Liebespaaren, sondern der Institution Ehe gelten könnte, war nie ein Thema. Es war auch nicht geraten, diesen «Solidaritätshype» zu stören. Doch statt der Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hätte die Egalisierung verschiedener Lebensformen auch auf einem moderneren Weg angestrebt werden können: durch die Abschaffung der Ehe. Die heutigen Probleme der Institution Ehe sind bekannt. Auch hilft es, sich zu vergegenwärtigen: Es ist nicht sehr lange her, da konnte ein Ehemann seiner Gattin verbieten, berufstätig zu sein; da durfte eine Frau nach ihrer Heirat nicht mehr ohne Erlaubnis ihres Mannes über ihr Vermögen verfügen; da war Vergewaltigung in der Ehe kein Delikt, sondern das Zuhause ein rechtsfreier Raum.
Genau wie im vorgelegten Gesetz verschwanden Frauenrealitäten in der Diskussion um die «Ehe für alle» im Hintergrund queerer Forderungen und Interessen.
Niemand darf diskriminiert werden. Der Gleichstellungsauftrag Frau/Mann muss trotzdem explizit gelten.
Statt in den Ruf «Basel first» einzustimmen, sollte besser gefragt werden, was an der altbekannten Ausgrenzung von Frauen modern und fortschrittlich sein soll.